Das kinder- und jugendliterarische Werk Mats Wahls und seine Rezeption in Deutschland

Abschlussarbeit zur Erlangung der Magistra Artium am Institut für Jugendbuchforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/ M. 138 Seiten. Frankfurt, 1999.

Autorin: Simone Klein

Gutachter: Prof. Dr. Hans-Heino Ewers

Kinder- und Kindheitsromane

Adoleszenzromane

Historische Romane

Interpretation

das Motiv

Zusammenfassung

In der Abhandlung wird das kinder- und jugendliterarische Werk Mats Wahls und die entsprechende Rezeption in Deutschland behandelt. Die Arbeit gliedert sich vordergründig in drei Hauptteile: in eine Gattungsanalyse, in eine Einordnung des übersetzten Gesamtwerkes und in eine Interpretation. In der Einleitung erfolgt eine kurze Präsentation des Autors, seiner Karriere als Schriftsteller und seines Werks. Bis zur Entstehung der Arbeit umfasst es etwa dreißig Kinder- und Jugendbücher, von denen bis dato dreizehn ins Deutsche übertragen wurden. Alle werden in der Analyse berücksichtigt und für die Gesamtinterpretation herangezogen. Des Weiteren erfolgt innerhalb der Einleitung ein kurzer Einblick in die deutsche Übersetzungsgeschichte. "Himbeeradler" erschien 1981 als erster Roman des Autors in deutscher Fassung.

Die gattungsspezifische Analyse umfasst drei Gruppen: Kinder- und Kindheitsromane, Adoleszenzromane sowie historische Romane. Sie erfolgt inhaltlich unter den Kriterien Kindheit, Familie, Schule und Peer-group. Der psychologische Entwicklungsprozess steht dabei im Vordergrund. Es fällt auf, dass Mats Wahl sehr stark die Innenperspektive seiner kindlichen und jugendlichen Helden fokussiert. Dabei wird deutlich, dass er seine jungen Protagonisten in Problemkonstellationen setzt, die zur Bewältigung ein hohes Maß Kraft und innerer Stärke voraussetzen. Grundsätzlich wachsen seine Helden an ihren Herausforderungen und stellen sich ihrem Kampf. Traumatische Erlebnisse werden zu Initiationsereignissen. Ihr Umfeld bietet ihnen dabei kaum Unterstützung, denn die Familien in Wahls Romanen sind durchweg unvollständig oder zerrüttet. Ein besonderes Augenmerk fällt auf die Darstellung schwacher Vaterfiguren, die sich als Leitthema durch das Gesamtwerk zieht. Auf formaler Ebene werden ferner erzähltechnische und stilistische Besonderheiten erläutert. Thematische und stilistische Vielfalt führen die Romane formal an die Grenze zur Erwachsenenliteratur.

Die Kinder- und Kindheitsromane bilden den Anfang. Hierbei werden "Emma und Daniel", "Sehnsucht nach der großen Liebe" sowie "Die Lüge" berücksichtigt. "Emma und Daniel" stellt dabei den einzigen Kinderroman dar. Es handelt sich um den ersten Teil einer Trilogie, von der bis dato zwei Bände ins Deutsche übertragen wurden. Teil drei befand sich damals in Übersetzung. Die Analyse des zweiten Teils erfolgt im Rahmen der Adoleszenzromane. Die Darstellung zweier Protagonisten in beiden Teilen zeigt nur eine der zahlreichen Besonderheiten der Trilogie. Im ersten Teil präsentiert Mats Wahl den Grundkonflikt beider Protagonisten. Im Mittelpunkt steht der kindliche Umgang mit dem Thema "Schuld". Die Befreiung davon verläuft parallel zu einem lebensgefährlichen Abenteuer, in das die beiden Kinder geraten. Der Autor fordert seinen kindlichen Helden ein hohes Maß an Krisenmanagement ab. Dabei wirkt die kindliche Genialität verblüffend, die beide während ihres gegenseitigen Freispruches an den Tag legen.

Die beiden Kindheitsromane weisen stark autobiographisch geprägte Züge auf. Beide Romane spielen in den fünfziger Jahren, in der Zeit der eigenen Kindheit des Autors auf Gotland. Er zeichnet in idyllischen Kulissen Schauplätze für behütete und idyllische Kindheiten, die an Erzählungen von Astrid Lindgren erinnern. Schrittweise führt er jedoch den Blick auf prägnante soziale Gegensätze und auffällige Kleinbürgerlichkeit. Hier vollzieht sich auf der Handlungsebene der Bruch der Idylle. Das Fundament vertrauter Gefüge beginnt ebenso zu wanken wie die autoritären erwachsenen Machtpositionen.

Beide Protagonisten befinden sich entwicklungspsychologisch in einem Zwischenstadium. Die Kinderschuhe sind abgestreift, während die Pubertät erst langsam beginnt. Einschneidende Erlebnisse führen inmitten verfahrener Konfliktkonstellationen zur abrupten Beendigung der Kindheiten. Die vernetzten Strukturen der Umgebung, die zuvor das Gefühl von Sicherheit vermittelten, werden zur Bedrohung. Das Motiv der Lüge erhebt Mats Wahl zum zentralen Thema. Die Welt der Erwachsenen verliert an Glaubhaftigkeit.

Als weiterer markanter Aspekt fällt die Darstellung des Tabuthemas "Tod" innerhalb dieser Gattung ins Auge. Die Konfrontation mit dem Tod von Freunden und Angehörigen führt in "Sehnsucht nach der großen Liebe" sowie "Emma und Daniel" zu einer neuen Bewusstseinsstufe. Trotz seiner Endgültigkeit kristallisiert sich in allen Fällen ein Neuanfang heraus, der mit veränderten familiären Strukturen einhergeht. Mats Wahl spendet entgegen seinen Vorsätzen doch ein wenig Trost, den man jedoch als Botschaft herauslesen muss.

Ähnliche Handlungsmuster liegen in den Adoleszenzromanen vor. Die Gruppierung teilt sich in männliche und weibliche Adoleszenzromane auf, allerdings mit der Gewichtung fünf zu eins. Die Protagonisten der Romane "Himbeeradler", "Der lange Lauf auf ebener Erde", "Ein paar richtig schöne Tage", "Winterbucht" und "So schön, dass es wehtut" sind männlich. Bei dem zuletzt genannten Titel handelt es sich um Teil zwei der Emma-und-Daniel-Trilogie. Emma fungiert als zweite Hauptfigur neben Daniel. "Mauer aus Wut" stellt innerhalb des übersetzten Gesamtwerkes den einzigen Roman dar, in dem eine weibliche Protagonistin vertreten ist. In den Adoleszenzromanen schildert Mats Wahl durchweg private Konflikte, die jedoch weder qualitativ noch quantitativ einheitlich sind. Als Gemeinsamkeit stellt sich jedoch bei allen Protagonisten ein lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit ein, das ihre Handlungsfähigkeit vorübergehend stoppt.

In "Winterbucht" und "Mauer aus Wut" präsentiert der Autor eine wahre Themenvielfalt, die den Romanen eine sehr starke Dynamik verleiht. Dabei fällt auch die Abgrenzung des sozialen Milieus ins Auge. Die beiden dynamischeren Romane lokalisieren sich in einem sozial schwächeren Milieu, während die andren vier in der Mittelschicht stattfinden. Untreue und Kriminalität jedoch ziehen sich durch alle gesellschaftlichen Kreise, wodurch ein soziales "Schubladendenken" aufgehoben wird. Der Grundkonflikt dagegen bleibt auch in den ruhigeren, monothematischen Erzählungen erhalten. Entsprechend zieht sich das angespannte Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen bzw. Töchtern wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk und findet in der Gattung der Adoleszenzromane seine stärkste Ausprägung. Der Schrei der Protagonisten nach ihren Vorbildern ertönt in den Romanen, in denen ein Generationswechsel bevorsteht und die jugendlichen Helden zu Erwachsenen werden, am lautesten.

Aktuelle Probleme der Gegenwart wie Fremdenfeindlichkeit und sexueller Missbrauch fließen in die Handlungen von "Winterbucht" und "Mauer aus Wut" auffallend stark ein. Die Problematik der Scheidungskinder hingegen manifestiert sich bereits als zeitgenössische Normalität im Kontext. Man erkennt hierbei, dass öffentliche Konflikte, die in den beiden Jugendromanen der achtziger Jahre ("Himbeeradler" und "Ein langer Lauf auf ebener Erde") noch am Rande erwähnt werden, in den Romanen der 90er Jahre nicht mehr auftauchen. Soziale und gesellschaftliche Probleme der aktuellen Romane stehen ausschließlich mit privatpsychologischen Problemen der Protagonisten in Verbindung. Sie bleiben im Rahmen des äußeren Umfeldes bestehen. Der Veränderungsprozess vollzieht sich im Innern der Protagonisten.

Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang auf erzähltechnischer Ebene perspektivische Wechsel und der Anteil an Innenperspektive. "So schön, dass es wehtut" zeigt den größten Anteil an Innenperspektive beider Protagonisten. Ihr privater Konflikt steht mit einer Ausschließlichkeit im Vordergrund, so dass das übrige soziale Umfeld kaum noch einbezogen wird, sofern es nicht unmittelbar an der Problemkonstellation beteiligt ist. Eine äußere Welt scheint kaum mehr zu existieren, die Fokussierung trifft ausnahmslos nur noch die innere Stimmung der mittlerweile jugendlichen Helden.

Dieses Merkmal zeigt sich auch in den historischen Romanen. Auch hier bleibt die Innenperspektive erhalten, obwohl man als Leser nicht damit rechnet. Grundsätzlich könnte diese Gattung kaum weiter gestreut sein. "Der Strandherr" nähert sich an den Kriminalroman für Jugendliche an, die Erzählungen "Die Vasa" und "Die lange Reise" liegen als Bilderbücher vor. "Därvans Reise" sprengt alle bisher gezogenen Grenzen in Bezug auf Gattung und Adressierung. Die Handlungen legt Mats Wahl zwei bis drei Jahrhunderte zurück und lokalisiert sie um historische Ereignisse. In den Bilderbüchern schreibt er die Geschichten um zwei Schiffskatastrophen neu. Dem "Strandherr(n)" liegen Tagebuchaufzeichnungen eines Kapitäns zugrunde und "Därvans Reise" findet den Ursprung in einer Votivtafel aus dem 17. Jahrhundert. Die Bilderbücher, die von Sven Nordqvist illustriert wurden, weisen eine Zweiteilung auf. Der erste Teil bildet in beiden Fällen eine Geschichte mit einem kindlichen bzw. jugendlichen Helden, der zweite Teil eine kindgerechte Vermittlung des historischen Kontexts. Die gelungene Kombination macht Geschichte lebendig.

Die beiden Bilderbücher, der Krimi und der historische Adoleszenzroman hätten sich durchaus in die anderen Gattungen integrieren lassen, "Därvans Reise" als Adoleszenzroman, die anderen drei als Kindheitserzählungen. Die Verknüpfung von Geschichte und Entwicklungspsychologie wäre jedoch in einer derartigen Einteilung vermutlich ebenso wenig zum Tragen gekommen wie die Erkenntnis der Modernität dieser Erzählungen, deren Handlungszeiträume um mehrere Jahrhunderte zurückverlegt sind. Daher rechnet der Leser auch nicht mit einem solchen Maß an Psychologisierung, das durch Verwendung der Innenperspektive in Erscheinung tritt. Die Phänomene sind unübersehbar, auch wenn sie nicht explizit beim Namen genannt werden. Sein ausgeprägtes psychologisches Gespür lässt Mats Wahl auch auf seinen Entdeckungsfahrten in die Vergangenheit nicht außen vor. Als Ergebnis kann man die Werke dieser Gattung als historische Kindheitserzählungen kategorisieren, die Elemente des modernen psychologischen Romans enthalten.

Die Suche nach dem eigenen Selbst und die Rolle des Vaterbildes thematisiert der Autor ebenfalls in den historischen Romanen. Die Väter zeichnet er dabei nach dem bekannten Grundmuster. Sie sind entweder schwach, nicht vorhanden oder werden durch eine stellvertretende Figur ersetzt. Auch die bereits bekannte Sozialkritik vermittelt Mats Wahl nach gewohntem Prinzip, indem er sie aufzeigt, statt anzuprangern oder zu bewerten. Dabei bedient er sich schwedischer Alltagsszenerien, die er so detailgetreu schildert, dass sich der Leser mühelos in die Zeit der Handlungen versetzen kann.

Was die Schauplätze betrifft, so begibt sich Mats Wahl in den historischen Romanen gleich in drei Fällen auf Neuland und verlässt die vertraute Umgebung. "Der Strandherr" spielt auf der kleinen Insel Gotska Sandön, nördlich von Gotland, die Reise des Därvan beginnt auf den Färöer-Inseln. In "Die lange Reise" kehrt er Europa den Rücken und kreiert einen Reisebericht über eine Seefahrt nach Indien. Auf diese Art und Weise offenbaren sich dem jugendlichen Leser neue Welten.

Allen historischen Erzählungen gemeinsam ist das Ausbleiben an Glorifizierung. Bestandene Abenteuer werden von den Helden im Nachhinein nicht beschönigt, sondern als lebensbedrohliche Gefahr erlebt. Gefühle von Angst und Schrecken dominieren über Glanz und Ruhm. Nur in einem Fall weist der Schluss so etwas wie ein Happy-End auf. Am Ende der Vasa-Erzählung erfolgt eine strikte Einteilung in Gut und Böse, wodurch eine ausgleichende Gerechtigkeit hergestellt wird. Dieser für den Autor eher untypische Zug erklärt sich durch die Adressierung an jüngere Lesergruppen im Bilderbuchalter.

"Därvans Reise" sticht sowohl aus der Gattung der historischen Romane als auch aus dem Gesamtwerk heraus. Mit diesem Roman hat der Autor die Grenze zur Erwachsenenliteratur überschritten. Es liegt eine Adoleszenzschilderung vor, die sich sowohl formal als auch inhaltlich mit der historischen Adoleszenzdichtung messen kann. Elemente der mittelalterlichen Geschichtsschreibung sowie Motive aus Götter- und Heldensagen hat der Autor mit Erkenntnissen der modernen Psychologie versehen und zu einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte ausgeschmückt. Das Scheitern der Hochzeit zweier Liebenden an einem konservativen Regelsystem verleiht dem Roman eine radikale Form der Sozialkritik, die von zeitgenössischen Entwicklungstendenzen unabhängig ist.

Mit der Einordnung des Autors in das kinder- und jugendliterarische System erfolgt der Versuch, die Ergebnisse aus der Gattungsanalyse auf einen Nenner zu bringen und das übersetzte Gesamtwerk von 13 Titeln zu kategorisieren. Die verwendete Begrifflichkeit entstammt ausschließlich dem bis dato unveröffentlichten Manuskript des Aufsatzes von Hans-Heino Ewers mit dem Titel "Der Autor im kinder- und jugendliterarischen System" von 1999. Primär fungiert Mats Wahl als "kritischer Kindheitsdichter". Die Schilderungen jugendlichen Alltags werden an keiner Stelle beschönigt, die Darstellungen erscheinen wirklichkeitsgetreu. Die Verbindung aktueller sozialer Probleme mit der privaten Situation der jugendlichen Helden macht den Autor zu ihrem "Anwalt". Sowohl bekannte als auch neuere Problemkonstellationen treten in Erscheinung. In den aktuellen Romanen tauchen Gewalt unter Jugendlichen, Fremdenfeindlichkeit sowie sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auf, während in den älteren Scheidungsproblematik und Alkoholismus mit einfließen. Letztere treten jedoch nicht als Hauptthematiken in den Vordergrund, sondern bilden das Handlungsumfeld der Jugendlichen. Fokussiert wird die Entwicklung der Helden, die auch vor einer wahren Flut an Problemen nicht Halt macht.

Neben das ausgeprägte Merkmal des "kritischen Kindheitsdichters" tritt die Funktion des "kinderliterarischen Erzählers". In der Familie des Autors liegt eine Tradition des Geschichtenerzählens vor, die er als Schriftsteller auf professioneller Ebene fortsetzt. Dabei schlüpft er in die Rolle des "Vermittlers" zwischen den Lebenswelten von Kindern und Erwachsenen. Erzieherische Intentionen treten dabei nicht in Erscheinung, die Freude am Erzählen dominiert. Hinzu kommen Züge des "naiven Kindheitsdichters", die sich durch die Verwendung von Naturelementen und die Darstellung der eigenen Heimat äußern. Es handelt sich jedoch um eine Form der Scheinidylle, der Mats Wahl die Antithese des realen Lebens gegenüberstellt.

Was die Interpretation betrifft, so liegt eine psychoanalytische Deutung unter dem Stichwort "Adoleszenz" auf der Hand. Mit Ausnahme des ersten Teils der Emma-und-Daniel-Trilogie befinden sich alle Protagonisten in diesem entwicklungspsychologischen Stadium oder stehen kurz vor Beginn der Pubertät. In der Psychoanalyse wird die Adoleszenz als Befreiungsmechanismus bezeichnet, dessen Zweck darin besteht, Kindheitstraumata aufzuarbeiten. Mats Wahl betreibt in seinen Romanen ein ständiges Spiel um diesen Entwicklungsprozess. Er veranschaulicht die übergeordnete Bedeutung, indem er äußere und innere Befreiungsprozesse kombiniert. Die Interpretation des vorliegenden Werks gliedert sich in fünf Stufen, die aufeinander aufbauen.

Am Anfang der Interpretation steht das Motiv der äußeren Gefangenschaft. Der Autor zeichnet einige seiner Helden in einer prekären Situation. Teils durch eigenes, meist jedoch durch fremdes Verschulden geraten sie in eine Falle. Mats Wahl verwendet dieses Motiv vorwiegend in den historischen Romanen sowie in den Kinder- und Adoleszenzromanen mit jüngeren Protagonisten, die das Alter der Adoleszenz noch nicht erreicht haben. Die übergeordnete Bedeutung eines Befreiungskampfes ist in besagten Fällen noch etwas mehr verbildlicht als in Erzählungen mit älteren Protagonisten. Eine Ausnahme stellt hierbei "Därvans Reise". Durch den verbildlichten Befreiungskampf erhalten die Motive der äußeren Gefangenschaft den Rang von Initiationsriten.

Das Motiv der inneren Gefangenschaft betrifft ausnahmslos alle Romanhelden, findet jedoch seine stärkste Ausprägung in den an den psychologischen Roman angelehnten Adoleszenzromanen. Die Protagonisten befinden sich in einer Krisensituation. Meist fühlen sie sich in einem ganzen Netzwerk an Konflikten gefangen. Zentral im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem Thema "Schuld". Ihre seelischen Nöte werden existentiell. In diesem Konfliktstadium können Erwachsenenfiguren nicht mehr helfen, denn ihre Macht- und Autoritätsfunktion hat deutlich nachgelassen. Einige der Helden stehen kurz davor, an Selbstvorwürfen zu zerbrechen. Sie fühlen sich entweder verantwortlich am Tod von Eltern oder Freunden oder glauben, an den zerbrochenen Ehen ihrer Eltern mitschuldig zu sein.

Durch das beklemmende Gefühl, innerlich in Ketten gelegt zu sein, fällt es den jugendlichen Helden schwer, gegen ihre Situation anzukämpfen. Eine Vielzahl von Krisenmomenten führt sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Der rasende Film, in dem sie sich befinden, muss angehalten werden. Daher erfüllt der Rückzugsmechanismus eine besondere Funktion. Zur Entwicklung von Lösungsstrategien muss die innere Stimme der Protagonisten, die ihnen Klarheit über das Dilemma verschafft, reaktiviert werden.

Stufe drei bildet das Rückzugsmoment, durch das die Protagonisten ihre leer gewordenen Reserven wieder auftanken. Man erkennt darin das Schaffen einer Insel inmitten der Wogen des Alltags. Die jungen Helden suchen nach ihrem Selbst und legen dabei eine Reihe an kreativen Betätigungen an den Tag. Literarische Interessen und sportliche Freiluftaktivitäten halten sich dabei die Waage. Während sich ein Teil der Protagonisten durch Tagebücher, Schulaufsätze und selbst erfundene Geschichten allen Frust von der Seele schreibt, vollziehen andere den Selbstfindungsprozess beim Angeln, Laufen oder Boxen. Durch diese Maßnahmen verleihen sie sich selbst Ausdruck und sind auf erwachsene Hilfe nicht mehr angewiesen. Dies führt zu einer für sie neuen Sichtweise, durch die sich der Blickwinkel aus der Gefangenschaft heraus verschiebt.

Die eigentliche Adoleszenz als Befreiungsmoment erfolgt als vierte Stufe durch das neu erlangte Kräftepotential mit herausragender Intensität. Dabei gelingt es ausnahmslos allen Helden, die inneren Fesseln zu sprengen. Es handelt sich um den Prozess der Vergangenheitsbewältigung, durch den die Banden der Kindheit abgestreift werden. Den Prozess beschreibt der Autor sehr komplex. Im Rahmen der Selbstfindung durchzieht der Vater-Sohn-Konflikt als roter Faden alle Romane und Erzählungen. Um an ein eigenes Selbstbild zu gelangen, erfolgt eine Auseinandersetzung der Protagonisten mit den Eltern. Die Suche nach den Vätern steht dabei im Vordergrund, da Mats Wahl in seinen Romanen beinahe ausschließlich unvollständige Familienkonstellationen zeichnet. Ihre Suche nach den Wurzeln führt die jugendlichen Helden zu sich selbst.

Selbstfindung als Einklang mit der Natur der Dinge stellt die letzte Stufe der Interpretation dar. Alle Protagonisten haben einen bestimmten Entwicklungsprozess abgeschlossen und sind für neue Erfahrungen bereit. Dabei spielt die Natursymbolik eine herausragende Rolle. Qualität und Quantität der Naturdarstellungen stehen in unmittelbarer Proportion zur adoleszenten Entwicklung der Protagonisten. Das Anlehnungsbedürfnis an "Mutter Natur" ist bei den jüngeren von ihnen weitaus größer als bei den älteren. Am Schluss der Romane stehen die Protagonisten im Einklang mit sich selbst und mit der Natur der Dinge. Die Welt hat sich für sie nicht verändert, aber sie treten der Welt durch ihr gestärktes Selbstbild mit anderen Augen entgegen.

 

Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Genehmigung und weitere Informationen zum Thema bei Simone Klein M. A., Frankfurt.

Kontakt über E-Mail: simone.klein2@freenet.de

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